Andreas W. (58) – von XXXL auf L

Andreas W.
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Männer leiden leise und gehen nur zum Arzt, wenn sie müssen. So auch Andreas. Aber den Insektenstich im Fuß wollte er dann im Oktober 2018 doch abklären lassen, schließlich litt sein Vater an Borreliose. Die Füße kamen der Ärztin verdächtig vor, sie ließ ein Blutbild machen. Diagnose: Diabetes mellitus Typ 2 mit einem HbA1c von 10, es folgt die Überweisung zur Diabetologin.

Der Jurist Andreas hatte seinen „Tritt in den Hintern“ bekommen, wie er es damals nannte, heute spricht er von einem „Startschuss in ein neues Leben“. Bis zur Diagnose bestand sein Leben aus einem Hamsterrad: Frühstück, Kinder in die Schule bringen, mit dem Auto zur Kanzlei, mit dem Auto spät zurück, dann rauf auf die Couch und den Alltagsstress vergessen mit „sehr viel Entspannungsessen“ und Gummibärchen, Schokolade und Keksen als Dessert. Das Fahrrad wurde nur 1 x im Monat für die obligatorische kleine Radtour mit dem Sohn aus dem Keller geholt. Bewegung ansonsten: Fehlanzeige. 115 kg und XXXL-Shirts das Ergebnis.

Eigentlich hätte es Andreas besser wissen können, war doch der Vater ebenfalls an Typ-2-Diabetes erkrankt. Und hatte ihn nicht seine trainierte Frau auf den wachsenden Bauch und die mangelnde Bewegung aufmerksam gemacht? Doch erst mit der Diagnose hat es bei Andreas Klick gemacht. Er stellt von einem zum anderen Tag sein Leben um. Das Fahrrad dient nun für tägliche 15 km-Touren, die Ernährung wird radikal umgestellt. Erfolge stellen sich schon nach kurzer Zeit ein: Nach der anfänglich benötigten Insulindosis, um den Blutzucker schnell von 340 auf 270 zu bringen, bekommt er ihn mit Metformin und einem SGLT2-Hemmer auf 140 runter. Seit August 2019 muss Andreas nun gar keine Medikamente nehmen.

Heute wiegt er 80 kg bei 1,90m und trägt Shirts in Größe L. Respekt. Doch was sich so einfach erzählt, ist unglaubliche Selbstdiszplin und ein knallharter Schlusstrich vom alten Leben. Andreas kauft sich medizinische Fachbücher, testet seinen Blutzucker täglich 2- bis 3-mal, um herauszufinden, welches Essen seinen Blutzucker ansteigen lässt und welches nicht. Und er testet, wie sehr sich die Bewegung positiv auf den Blutzucker auswirkt. Er macht nun täglich Sport: 1 Tag Cardiotraining, 1 Tag Krafttraining. Oder geht 15.000 Schritte mit den neu angeschafften Hunden.

Andreas hat seinen Diabetes im Griff mit einer guten Balance zwischen gesunder Ernährung, viel Bewegung und Selbstdisziplin. Er recherchiert viel, testet immer wieder neue Rezepte aus und fängt an, seine Erfahrung aufzuschreiben. Er gründet einen Blog „Der Diabetes-Experte“ und postet auf Instagram motivierende Anregungen zur Lebensstiländerung. Die Follower-Zahlen steigen.

Irgendwann wird das Hobby zu Berufung. Als Jurist arbeitet Andreas schon eine Weile nicht mehr. Er hat sich zum Ernährungscoach ausbilden lassen und selber 26 Lektionen Coaching Programm erstellt. Noch hilft er Menschen mit Diabetes kostenlos, ihren Diabetes besser zu managen, als Sternzeichen Löwe möchte er, dass es dem Rudel der Typ-2-Community, die auch auf Instagram sind, gut geht. Irgendwann jedoch könnte seine Berufung sein neuer Beruf werden. Vielen konnte er schon durch sein individuelles Coaching helfen, den Langzeitblutzuckerwert deutlich zu verringern. Einfacherwäre dies, wenn jeder Typ-2-Neudiagnostizierte ein kontinuierliches Glukosemesssystem tragen könnte, um schwarz auf weiß zu sehen, wie sich welche Lebensmittel auf den Blutzucker auswirken. Das wäre Andreas Wunsch an die Politik. Damit könnten viel Leid und Folgeerkrankungen vermieden werden. Sowieso müsste die Politik viel früher in Prävention investieren.

Damit die Stimme der PatientInnen mehr gehört wird, engagiert sich Andreas seit kurzem für die Aktion www.diabetes-stimme.de und der Awareness-Kampagne #SagEsLaut. Leise will er nicht mehr sein.