Annika (43) – Auf dem Weg zum Uhu

Annika Ziercke schaut freundlich in die Kamera. Sie trägt eine Brille und ihre braunen Haare offen. Sie ist im Grünen.

Wer bei dem Wort „Uhu“ an eine Nachteule denkt, hat in seinem Leben noch nie ernsthaft Probleme mit seinem Gewicht gehabt. „Uhu“ steht für „unter Hundert“, also Kilogramm, und ist das erklärte Ziel von vielen Menschen mit starkem Übergewicht. So auch von Annika, seit sie vor fünf Jahren ihre Diabetes-Diagnose erhalten hat: Typ-2-Diabetes mit gerade mal 38 Jahren. Eine Zufallsdiagnose, als sie aufgrund eines nicht enden wollenden Keuchhustens durchgecheckt wurde.

Annika hatte mit allem gerechnet, aber die Typ-2-Diagnose lässt sie zunächst hilflos und überfordert zurück. Immerhin ist das eine Erkrankung, die chronisch ist und nie wieder weggeht. Dabei hätte sie vorbereitet sein müssen, denn ihre gesamte Familie väterlicherseits und mütterlicherseits hat Typ-2-Diabetes. Sie war stets übergewichtig gewesen, gemobbt als Kind, als Jugendliche, als Erwachsene. Zig Crash-Diäten machten eigentlich alles nur noch schlimmer, 5 Kilo runter, 10 wieder rauf. Stets das Falsche gegessen und zum „Couch potatoe“ mutiert.

Die Diagnose Typ 2 lässt sie erstmals aufhorchen und sie hat das große Glück, an ein empathisches Ärzteteam zu geraten, das ihr Verständnis entgegenbringt für die vielen Pfunde, die sie mit sich rumträgt, und ihr ausnahmsweise keine Vorwürfe macht. Dicke kämpfen ihr Leben lang gegen Vorurteile und Stigmatisierung, auch Annika. Sie erhält eine Ernährungsberatung und stellt für sich fest, dass Krafttraining ihr Leben verändert. 5 x die Woche stemmt sie Gewichte, hier kann sie abschalten. Die Pfunde purzeln, ihr HbA1c sinkt bis auf 4,9.

Doch die Corona-Zeit nagt auch an Annika und der Ehrgeiz lässt etwas nach. Sie arrangiert sich mit ihrem Diabetes und kämpft nicht mehr akribisch jeden Tag gegen ihn an. Heute hat sich der HbA1c um die 6 eingependelt. Annika versucht, so oft es geht, frisch und gesund zu kochen. Krafttraining gibt es 2 x die Woche, ergänzt von vielen Spaziergängen.

Eines möchte Annika nicht mehr missen und ist dem Diabetes fast dankbar: Mit der Diagnose ruft sie ihren eigenen Instagram-Account ins Leben: @onyva_13. „Auf geht’s“, kombiniert mit ihrer Glückszahl 13. Annika verarbeitet Probleme gerne mit Schreiben, also lässt sie die Welt teilhaben an ihren Gedanken und ihrem Alltag mit Typ-2-Diabetes. Sie ist überrascht, wieviel Zuspruch sie erhält. Von anderen Typ 2ern, die ähnlich jung sind wie sie und keinen zum Austausch haben. Man bekennt sich im Freundeskreis halt ungern zum Typ 2, wenn man noch jung ist. Zu schnell wird man mit dem Stempel „disziplinlos“ versehen.

Annika merkt mit der Zeit, dass ihre Lebenserfahrung anderen die Scham nimmt, auch mal Tabufragen zu stellen: Sex, Verhütung, Kinderwunsch. Annika macht auf ihrem Kanal deutlich: „Du bist nicht allein, hier ist jemand, der Dir zur Seite steht.“ 1 700 Follower hat sie inzwischen. Vom Diabetes-Ratgeber wurde sie zusammen mit einem anderen Influencer, mit dem sie den „Treffpunkt Diabetes“, einen virtuellen Stammtisch zu Diabetes-Themen, gegründet hat, im August 2023 als „Heldin des Monats“ ausgezeichnet. Darüber hat sie sich gefreut, vor allem, dass ihr ehrenamtliches Engagement gewürdigt wurde.

Die Diabetes-Community möchte sie nicht mehr missen, es sind Freundschaften entstanden, ehrliche, tiefe Freundschaften unter Gleichgesinnten. Füreinander einstehen, das ist das Credo aller. Und sie möchten das Vorurteil, nur alte Menschen bekämen eine Typ-2-Diagnose, gerne widerlegen. Dafür sind es zu viele, die einen ähnlichen Diabetes-Werdegang haben wie Annika. Und die meisten kämpfen gegen die Pfunde wie sie, nur nicht mehr so akribisch. „Uhu“ wird irgendwann kommen, ganz nebenbei.