Kim (38) – Zufallsdiagnose Typ 2

Kim
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„Warum ich? Was habe ich meinem Körper angetan?“, das sind die ersten Gedanken, die Kim in den Kopf schiessen, als ihr Hausarzt ihr die Diagnose Diabetes Typ 2 mit einem HbA1c von über 8 an den Kopf schleudert. Dabei war sie doch wegen einer ganz anderen Untersuchung zum Arzt gegangen. Wie konnte es sein, dass sie mit 33 Jahren eine chronische Erkrankung hatte, die nie mehr weggehen würde? Würde sie jemals Kinder bekommen können? Weinend sitzt Kim tagelang auf der Couch und macht sich schwere Vorwürfe, glaubt, sie sei selber schuld an der Erkrankung. Und das obwohl Kim mit 80 kg nur mäßig übergewichtig ist bei einer Größe von 1.70 m und ihrer Meinung nach mit Joggen und Yoga ausreichend Sport macht. Erst als die zuständige Diabetologin ihr versichert, sie könne auch mit Diabetes Typ 2 Kinder bekommen, beruhigt sie sich etwas und fängt an zu analysieren, was zu dem Ausbruch der Erkrankung geführt haben könnte. Zum einen gibt es die familäre Anamnese: Urgroßmutter, Vater, Tante und die Cousine, die mit 30 Jahren ebenfalls ihre Diagnose erhielt. Zum anderen ist es ihr stressiger Job als Reporterin, in dem geregeltes Essen, ausreichend Bewegung und genügend Schlaf Mangelware sind. Im Nachhinein erinnert sie sich an eine Festivalreportage im Sommer, für die sie rund um die Uhr an einem heißen Tag gearbeitet hat und sich mit einem Energydrink wach halten wollte. Schlagartig wurde ihr schwindelig, sie musste sich sofort setzen, um nicht umzufallen, wahrscheinlich hatte sie eine Überzuckerung, ohne es zu wissen. Bei dem hohen Langzeitblutzuckerwert muss sie den Diabetes schon eine Weile mit sich rumgeschleppt haben, ohne es zu merken. Nun erklären sich auch die vielen Momente der Benommenheit und der großen Müdigkeit nach dem Mittagessen.

Als Journalistin hat Kim gelernt, gut zu recherchieren und zu hinterfragen und da ihr Herzensprojekt „Kinder kriegen“ auf keinen Fall scheitern soll, setzt sie sich mit allen Facetten der Ernährung auseinander. Sie setzt alles daran, kein Insulin nehmen zu müssen, stellt die Ernährung radikal auf low carb um und intensiviert die Sporteinheiten. Der HbA1c sinkt mit der Lebensstilumstellung und Tabletten schnell auf 5. Als sie dann schwanger wird, sind ihre Werte aber dann doch einfach für die Grenzwerte einer Schwangerschaft zu hoch und sie muss doch Insulin hinzunehmen. Ihre große Befürchtung, dies würde dazu führen, dass sie ein übergewichtiges Kind gebähren würde, tritt nicht ein. Ihre Tochter kommt völlig gesund und normalgewichtig auf die Welt.

Kim kann heute mit ihrem Diabetes gut leben, auch wenn sie nach wie vor erstaunt ist, was sich alles auf den Blutzuckerspiegel auswirkt, das man nicht beeinflussen kann: Stress oder Emotionen zum Beispiel und Lebensmittel, bei denen man erst im Nachhinein feststellt, wieviel versteckter Zucker drin ist. Oder auch High Impact Sportkurse, da schießt ihr Blutzucker durch die Decke. Inzwischen macht sie 2–3 mal die Woche Sport: Pilates und Laufen. Ihr Gewicht liegt bei 69 kg, also normalgewichtig.

Das Verrückte bei Kim ist, dass sie im selben Jahr ihre Diabetes Typ 2 Diagnose erhielt wie ihre Freundin Freddie ihre Typ 1 Diagnose. Seitdem tauschen die beiden sich regelmäßig aus, denn es gibt viel mehr Themen, die beide gleichermaßen bewegt, als immer gesagt wird. Daher haben sie auch an der Social-Media-Kampagne #SagEsLaut #SagEsSolidarisch teilgenommen und engagieren sich in ihrem eigenen Podcast „Typfrage“ für breite Aufklärung. Der Podcast war eine logische Konsequenz der beiden Freundinnen, immerhin sind sie beide Journalistinnen. Inzwischen sind sie in der Diabetes-Community gut vernetzt und freuen sich, wenn sie helfen können. Die Verantwortung, die beide für mit ihren Diabetesthehmen für ihre Zuhörerschaft haben, ist ihnen sehr wohl bewusst. Ausdrücklich weisen sie in jeder Podcastfolge daraufhin, dass sie die Themen aus ihrer alltags- und erfahrungsbasierten Sicht darstellen und kein wissenschaftlicher Podcast sind. Ihre Zuhörer*innen sollten die Themen auf alle Fälle mit ihrem Diabetesteam besprechen. Gleichwohl laden Kim und Freddie für jede Folge Gäste ein, mitunter auch Fachexperten. Aber auch Prominente mit Diabetes haben sie schon interviewt und ganz viele Influencer aus der Szene.

Mit Vorurteilen aufzuräumen, ist Kim ebenfalls eine Herzensangelegenheit. Die meisten Menschen hätten bei dem Typ-2- Diabetes Stereotypen im Kopf wie „Faul, dumm, fett“, dagegen will sie angehen. Außerdem wünscht sie sich für die Versorgung der Menschen mit Diabetes mehr Gleichberechtigung im Gesundheitssystem, so sei es unverständlich, dass es pro Bundesland eigene Kassenleistungen für Medikamente und unterschiedliche Rabattverträge gibt. Dass Menschen mit Typ-2- Diabetes generell ihre Teststreifen selber zahlen müssen, findet sie falsch. Besser wäre, dass eine Erstattung an eine Verbesserung der Werte gekoppelt wäre. Da bröckelt für sie der Mythos des besten Gesundheitssystems der Welt. Je mehr sie sich mit den Themen rund um Diabetes auseinandersetzt, je sicherer wird sie im Umgang mit ihrem Diabetes. Derzeit ist sie mit ihrem zweiten Kind schwanger, das rund um den diesjährigen Weltdiabetestag, zu dem sie erst seit ihrer eigenen Diagnose einen Bezug hat, im November auf die Welt kommen soll. Ein Weltdiabetestagsmonat-Baby, bei dem die ersten Gedanken, sie könne nicht schwanger werden mit Diabetes, völlig unnötige Gedanken waren.