Stephanie Haack (30) – rebellische Füße

Stephanie Haack
© Stephanie Haack

Selbstbewusst, kosmopolitisch, emanzipiert: Wenn Stephanie Haack den Raum betritt, zieht sie alle Blicke auf sich und das liegt nicht an Ihrer Körpergröße oder den wunderschönen lange Haaren oder den bestechend grünen Augen. Stephanie ist eine Frau mit Charisma. Sie ist jemand, den man einen lebenshungrigen, positiven Menschen nennt.

Dieser Hunger aufs Leben in allen Facetten hat sich nach ihrer Diabetes Typ 1-Diagnose im Alter von 18 Jahren eher noch intensiviert. Als sie ihre Symptome googelt, nachdem sie sich wochenlang „immer schlapp, häufig krank und unglaublich durstig“ fühlt, ist sie sich schon vor dem Gang zum Arzt sicher: Typ-1-Diabetes. Als ihre Vermutung bestätigt wird, ist sie beinahe erleichtert, denn von nun an könne es ja nur besser gehen. Anpacken und gut ist, so stellt sie sich den Umgang mit ihrer Erkrankung für den Rest des Lebens vor. Niemand darf der selbstbewussten, rebellischen, jungen Frau in das Diabetes-Management reinreden, nicht die Eltern, nicht die Freunde und schon garnicht der Arzt, der ihr bei jedem Besuch neue Verbote auferlegen will: Keine Festivals mehr, keine Reisen in ferne Länder, kaum Süßes. Die Einstellung eines optimalen Blutzuckers sei gut in den Griff zu kriegen, wenn sie auf die Kohlenhydrate und mehr Sport achten würde. Dass der Blutzucker aber auch durch Stress, weniger Schlaf, Reisen, Emotionen und vielem mehr beeinflusst werden könnte oder die Basalrate wie bei Stephanie jeden Tag anders ist, davon erzählt der Arzt nichts. 5 – 6 Jahre braucht Stephanie, um für sich zum optimalen Diabetesmanagement zu finden. Der Arzt ist ihr dabei keine Hilfe und demotiviert mit Kommentaren wie „Ihre Reise nach Vietnam können Sie sich abschminken“ oder „Ob Sie das im Auslandssemester in Moskau besser hinkriegen, wage ich zu bezweifeln.“ Auch wird die Angst vor Folgeerkrankungen ständig befeuert: „Kümmern Sie sich gut, sonst fallen Ihnen irgendwann die Füße ab.“ Angst schüren ist für Stephanie mit Sicherheit keine Motivation, sich „gut zu kümmern“. Trotzdem ist auch ihre Angst vor Folgeschäden immer präsent.

Per Zufall fällt Stephanie 2015 ein Flyer von „#dedoc“, der Deutschen Diabetes Online Community in die Hand. Sie findet Anschluss in der Diabetes-Szene mit vielen Gleichaltrigen, Bloggern, die auch nicht immer das beste Diabetes-Management an den Tag legen und darüber andere teilhaben lassen. Anlass für Stephanie, ihren eigenen Blog „PEP ME UP“ zu starten. Ihr Diabetes-Management gelingt ihr nun immer besser. Seit geraumer Zeit ist sie bei einer Diabetologin in Behandlung, die gut auf die Rebellin reagiert. Stephanie ist mit sich und ihrem Diabetes im reinen, wäre da nicht seit kurzem das Gefühl, dass ihr vermehrt die Füße einschlafen. Das Kopfkino geht wieder los: ihr größter Angstgegner ist der diabetische Fuß und die Amputation. „Kümmern Sie sich gut, sonst fallen Ihnen irgendwann die Füße ab“ hämmert es in ihrem Kopf. Stephanie ist 27 Jahre alt, als ihre Diabetologin völlig aufgelöst eine Polyneuropathie feststellt und das, obwohl sie seit Monaten die besten HbA1c-Werte ihres Lebens hat. Der Schock ist riesengroß, noch nie hatte Stephanie mit jemanden gesprochen, der wirklich unter Folgeerkrankungen leidet, bislang hatten ihre GesprächspartnerInnen alle nur Angst davor. Einzig der britische Blogger Chris Aldred war ihr vorab eine Inspiration. Auch er lebt mir einer Polyneuropathie und spricht offen darüber. Er sagt ganz klar: „Die Schuld liegt nicht beim Menschen mit Diabetes, sondern beim Diabetes selbst.“ Ob ihre frühere Phase der Rebellion gegen den Diabetes Grund für die jetzige Folgeerkrankung ist, wird Stephanie nie erfahren. Es ist auch unerheblich: Kein Mensch managt seinen Diabetes fahrlässig, um Folgeschäden zu bekommen. Die Schuldfrage stellt sich nicht. Ein Diabetes-Management ist nie perfekt. Noch behindert Stephanie ihre Polyneuropathie nicht, sie geht einmal im Monat zur Podologie und einmal im Jahr zum Neurologen, sie ist zum Glück noch im Anfangsstadium. Aber in den Gedanken ist die Diagnose immer dabei, denn schließlich verbringt sie noch ihr ganzes Leben auf diesen rebellischen Füßen und es läuft sich auch anders als früher: Vorsicht bei offenen Sandalen und barfuß am Strand, es könnten ja Scherben dort liegen. Noch am Tag der Diagnose wendet sich Stephanie offen an die Diabetes-Community und teilt, dass sie schon im Alter von unter 30 Jahren Folgeschäden hat. Die Resonanz ist überraschend: Sie ist wahrlich nicht der einzige junge Mensch mit Diabetes und Folgeerkrankungen.

Sie stellt fest: Das Leben geht weiter. Es ist ein Befreiungsschlag. Überhaupt lässt sich Stephanie durch ihren Diabetes niemals aufhalten. Sie reist gerne um die Welt in die entlegensten Länder und ist top vorbereitet für alle Eventualitäten, hat immer Ersatzpumpen und genügend Insulin dabei, aufgeteilt in unterschiedliche Gepäckstücke. Plan B muss eben funktionieren und hat schon oft genug gegriffen, kürzlich erst wieder, als ihr türkisfarbener Rucksack in Bangkok vertauscht wurde und sie ihn in Chiang Mai erst wiederbekam. Aber mit dieser positiven Lebenseinstellung kein Wunder.