Sweet Caromell (28) – der Typ-2-Diagnose irgendwie dankbar

Sweet Caromell
© Privat

Alles fängt mit merkwürdigen roten Flecken im Mai 2020 an den Unterschenkeln an, wie Röteln, nur eben größer. Sie jucken nicht, sehen aber hässlich aus, weswegen Caro einen Hautarzt aufsucht. Nach großer Ratlosigkeit seitens des Arztes und gefühlten 100 Cremes und Salben später schickt dieser Caro mit der Diagnose Necrobiosis endlich zum großen Blutbild zum Hausarzt: Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 mit einem HbA1c von 9,7 und das mit 27 Jahren. Es zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. In so jungen Jahren eine Diagnose, die sie von ihren Großeltern kennt. Klar, sie ist ein wenig übergewichtig bei 105 kg und 1,78 m und eben ein ausgesprochenes Schleckermäulchen, aber eigentlich sportlich aktiv.

Sie fällt in ein großes Loch, denn Caro ist ein Mensch, der sich mit Problemen inhaltlich auseinandersetzt und über diese Erkrankung weiß sie so gut wie nichts. Was ist Diabetes, wie geht man damit um? Was darf man essen, was nicht? Und plötzlich dämmert es ihr: auch ihre Eltern hatten beide doch mit 50 Jahren die Typ-2-Diagnose erhalten, es nur nie großartig thematisiert, im Gegenteil: es totgeschwiegen. Hatte sie überhaupt jemals eine Chance, dem Diabetes zu entkommen bei dieser Anamnese? Typ-2-Diabetes mit 27 glauben ihr selbst die Ärzte nicht. Sie muss sich weiteren Tests unterziehen, um final auszuschließen, dass es evtl. nicht doch ein Typ-1- oder Mody-Diabetes ist. Es bleibt bei der Diagnose und der Empfehlung, abzunehmen.

Eine Ernährungsberatung hilft ihr einerseits, andererseits ist da ihr Partner, der ihr als Fitnessfanatiker und Verfechter der gesunden Ernährung ein großer Motivator ist. Und Caro trifft wegweisende Entscheidungen: Sie gibt ihren superstressigen Job in einer Marketingagentur auf, für den sie täglich zwischen Mainz nach Frankfurt hinund zurückgependelt war, der zeitlich keinen Sport mehr zuließ und mit vielen Restaurantessen gespickt war. Im neuen Job macht sie auch Marketing, aber in einem Unternehmen mit geregelten Arbeitszeiten, die zulassen, dass sie abends frisch und gesund mit viel Gemüse selbst kochen kann. Ihre Ernährung stellt sie zusammen mit ihrem Partner auf vegetarisch und vegan und kohlenhydratarm um. Schnell fühlt sie sich besser, auch wenn der Corona-Lockdown dazu führt, dass sie ihr geliebtes Gym 6 Monate nicht von innen sieht. Trotzdem hat sie an Lebensqualität gewonnen und macht das Beste draus mit ausgedehnten Spaziergängen in den Weinbergen vor der Tür und der neu entdeckten Leidenschaft des „Hullerns“, also das Bewegen mit dem Hoola-Hoop-Reifen.

Ihr engstes Umfeld kennt inzwischen die Diagnose, aber ansonsten hängt Caro ihren Diabetes nicht an die große Glocke, der Diabetes soll sie nicht bestimmen, sondern sie ihn. Und so sucht sie sich eine andere Möglichkeit, sich mit ihm auseinanderzusetzen und beginnt schon im Oktober 2020 einen Instagram-Account, die frührere Karamellbonbon-Süchtige nennt ihn selbstironisch „Sweet Caromell“. Auf Instagram findet sie schnell Zuspruch, erhält viele wichtige Informationen und sehr persönlichen Austausch mit Gleichgesinnten. Die Kommunikation sei auf Instagram intensiver als im wirklich Leben. Inzwischen hat „sweet.caromell.type2“ 860 Follower, immer mehr junge Typ 2er gesellen sich dazu. So hört sie auch von der Aktion #SagEsLaut von der Initative Diabetes-Stimme, in der Betroffene laut äußern, was sie stört und wo ihre Bedürfnisse liegen. Caro ärgert z.B. wahnsinnig, dass sie bei den Check-Up-Untersuchungen durchs Raster des Gesundheitssystems gefallen ist. Obwohl sie regelmäßig beim Hausarzt war, wurde bei ihr nie ein großes Blutbild gemacht, sonst wäre ihr Diabetes evtl. zu verhindern gewesen bzw. gar nicht erst ausgebrochen, weil sie früher die Reißleine hätte ziehen können.

Und trotzdem: Caro überrascht im Januar 2021 mit einem Post über die „Vorteile von Diabetes“ und erläutert diese Ihren Followern wie folgt:

  • Du passt mehr auf Dich auf (Selfcare)
  • Du setzt Dich mehr mit Dir auseinander
  • Du bist mehr einfühlsam und empathisch
  • Du hast regelmäßige Gesundheitschecks
  • Du lernst mehr über gesunde Ernährung und setzt das auch um
  • Du bewegst Dich regelmäßig
  • Es macht Dich BESONDERS
  • … und Du bist Teil einer tollen Community!

Starker Tobak innerhalb einer Diabetes-Community, mutig und visionär zugleich. Dieser Eintrag zeigt, wie sehr sich Caro auch psychologisch mit ihrer Erkrankung auseinandersetzt und gelernt hat, auf sich selbst zu hören, physisch wie psychisch. Ihr Ziel ist ganz klar, irgendwann ohne Medikation zu sein. Noch nimmt sie Metformin und neuerdings noch ein weiteres Medikament, mit dem sie bereits 2 kg abgenommen hat. Trotz ihrer positiven Einstellung und ihren Fotos auf Instagram, die fast immer Lebenslust und Freude ausstrahlen, fühlt sie auch einen unfassbaren Druck, diesen Blutzuckerspiegel mit Selbstdisziplin, gesundem Essen und ausreichend Sport irgendwie in Balance zu bekommen. Denn alle 3 Monate schaut der DiaDoc auf den HbA1c und der signalisiert ihr knallhart, ob sie es geschafft hat, den Langzeitblutzucker in Schach zu halten. Derzeit liegt er bei 7,5. Das ist ein gutes Ergebnis. Für das Schleckermäulchen Sweet Caromell sind Karamellbonbons trotzdem tabu. Und leider sind auch noch die roten Flecken da…