Der Begriff diabetische Neuropathie beschreibt Veränderungen der Nervenfunktion als Folgeschaden eines lange Zeit bestehenden, schlecht eingestellten Diabetes. Betroffen sein können Nerven, die das Schmerz- und Berührungsempfinden vermitteln, die Muskelbewegungen steuern oder die Eingeweide und den Harntrakt versorgen (sensible, motorische und autonome Neuropathie).
Dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte bei Diabetes können auch die Nerven angreifen. Die sogenannte diabetische Neuropathie gehört zu den häufigsten Folgeschäden eines Diabetes. Bei mehr als einem Drittel aller Menschen mit Diabetes liegt eine solche Nervenschädigung vor, die zum Teil sehr unangenehme und schwerwiegende Beschwerden mit sich bringt. Tückisch ist, dass die diabetische Neuropathie anfangs oft nur wenig Beschwerden verursacht, so dass viele Betroffene zunächst nichts davon merken. Das ist insofern problematisch, als es sich um eine fortschreitende Erkrankung handelt, bei der eine frühzeitige Therapie wichtig ist. Eine einmal vorhandene Neuropathie kann nicht rückgängig gemacht werden, aber es gibt Möglichkeiten, einer weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken, Beschwerden zu verbessern und Lebensqualität zurückzugewinnen.
Die Nerven verbinden unser Gehirn mit Muskeln, Sensoren in der Haut und anderen Organen. Die Nervenbahnen leiten die Steuerungssignale des Gehirns bis in kleinste Stellen des Körpers weiter und die Sinnesempfindungen der Haut ins Gehirn. Warum es genau zu einer Schädigung der Nerven durch den Diabetes kommt, ist noch nicht eindeutig geklärt. Zu den Faktoren, die die Entstehung einer diabetischen Neuropathie beeinflussen, gehören erhöhte Blutzuckerwerte, aber auch zunehmende Diabetesdauer. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Zum einem beschädigt ein hoher Zuckerspiegel die Blutgefäße, die zu den Nerven führen, so dass diese dann nur unzureichend Sauerstoff erhalten. Zum anderen setzt der Blutzuckerüberschuss wohl verschiedene Stoffwechselprozesse in Gang, die die Nerven selbst beeinträchtigen.
Eine diabetesbedingte Schädigung der Nerven führt zu einer Vielzahl unterschiedlicher Störungen. Unterscheiden lassen sich Erkrankungen des willkürlichen Nervensystems (periphere Neuropathie) und Erkrankungen des vegetativen Nervensystems, das die inneren Organe versorgt (autonome Neuropathie). Eine periphere Neuropathie kann mit quälenden neuropathischen Schmerzen wie Brennen, Reißen oder Stechen vor allen in Zehen, Füßen und Fingern einhergehen, aber auch mit verringertem Schmerz- oder Temperaturempfinden und Taubheit. Oft sind die Füße zuerst von einer peripheren Neuropathie betroffen.
Die autonome Neuropathie kann nahezu jedes Organ betreffen und dabei zu einer Vielzahl von Symptomen führen, von Übelkeit, Verstopfung und Durchfall über trockene und rissige Haut bis zu sexuellen Funktionsstörungen. Besonders bei autonomen Nervenstörungen am Herz-Kreislauf-System kann es zu starken Blutdruckabfällen kommen, z.B. bei einer Narkose, was wiederum einen „stummen“, also im verborgenen stattfindenden Herzinfarkt zur Folge haben kann.
Durch spezielle Nervenuntersuchungen kann ein Arzt oder eine Ärztin eine sich entwickelnde Neuropathie früh erkennen. Allerdings wird das hierfür notwendige Screening oft nicht regelmäßig durchgeführt. Ein jährliches Screening wird bei Typ-1-Diabetes ab dem fünften Erkrankungsjahr empfohlen, bei Typ-2-Diabetes gleich nach der Diagnose. Eine stabile Stoffwechseleinstellung trägt zudem dazu bei, der Entwicklung einer Nervenschädigung vorzubeugen oder diese zumindest zu verzögern. Gleichzeitig ist eine möglichst normnahe Blutzuckereinstellung ein wichtiger Baustein bei der Behandlung. Hier ist eine strukturierte Schulung wichtig, die Betroffene bei der Lebensstilumstellung begleitet und unterstützt.
Eine diabetische Neuropathie ist nicht heilbar. Bei der Behandlung der schmerzhaften Variante der peripheren Neuropathie steht die Schmerztherapie im Fokus, die das Ziel hat, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Bei der schmerzlosen Variante hingegen kann es aufgrund des fehlenden Schmerzempfindens zu Druckstellen an den Füßen kommen, die bei unsachgemäßer Behandlung zum Diabetischen Fußsyndrom führen können. Darum ist die richtige Fußpflege ein wichtiger Baustein der Behandlung. Außerdem stehen verschiedene nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten zur Wahl, wie psychologische Schmerztherapie oder elektrische Muskel- und Nervenstimulation. Bei einer autonomer Neuropathie richtet sich die Behandlung nach den betroffenen Organen.
Mehr zum Thema diabetesbedingte Nervenerkrankungen und was die Diagnose für die Betroffenen bedeutet, erfahren Sie in diesem Video, das Bloggerin Stephanie Haack (Typ-1-Diabetes) im Rahmen des Weltdiabetestags 2021 aufgenommen hat.
Bitte beachten Sie: Diese Informationen können keine ärztliche Beratung ersetzen und sind nicht als Empfehlung für oder gegen eine Therapie gemeint. Bitte besprechen Sie Ihre individuelle Therapie mit Ihrer behandelnden Ärztin oder Ihrem behandelnden Arzt.