Diabetes und Auge: Was gibt's Neues? – Interview mit Prof. Dr. Hammes

Prof. Dr. Hans-Peter Hammes
© privat

Am 14. Oktober 2021 ist der Welttag des Sehens. In Deutschland sind 1,2 Mio. Menschen blind oder sehbehindert, haben also selbst mit Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr als 30% des normalen Sehvermögens. Häufig ist eine Diabetische Retinopathie Ursache für eine solche Sehbehinderung: In Deutschland leiden 20-22% der Menschen mit Diabetes an einer diabetischen Retinopathie, jedes Jahr erblinden 2.000 Betroffene in Folge ihres Diabetes.

Wir möchten aber nicht nur auf diese erschreckenden Zahlen aufmerksam machen, sondern Sie auch dafür sensibilisieren, wie wichtig regelmäßige Untersuchungen beim Augenarzt sind. Denn wenn kleine Veränderungen am Auge rechtzeitig erkannt und behandelt werden, kann oft eine Verschlechterung verhindert werden. Prof. Dr. Hans-Peter Hammes, Sektionsleiter Endokrinologie / Diabetelogie des Uniklinikums Mannheim, beantwortet im folgenden Interview Fragen rund um das Thema „Diabetes und Auge“ und stellt neuere Entwicklungen vor.

Warum sind ausgerechnet die Augen bedroht, eine Folgeerkrankung des Diabetes zu entwickeln?

Darüber ist in den vergangenen Jahrzehnten viel spekuliert und noch mehr geforscht worden, ohne dass man eine klare Antwort finden konnte. Fakt ist, dass das Auge von allen Organen, die bei Diabetes mellitus geschädigt werden können, am ehesten durch die chronische Erhöhung des Blutzuckers betroffen ist.

Man könnte aus den vorliegenden Daten von Menschen und Mäusen schließen, das Auge sei am empfindlichsten gegenüber der chronischen Blutzuckererhöhung. Es ist aber auch denkbar, dass es nicht die Glukose allein ist, die die Netzhautgefäße und die anderen Netzhautzellen schädigen, sondern dass auch Abbauprodukte des Zuckers an der Schädigung teilhaben. Sicher ist, dass – anders als beispielsweise bei der Niere – die Insulinspiegel bzw. die Insulinresistenz keine so große Rolle spielen. Wohl aber scheint der Blutdruck auch für bestimmten Phasen der Retinopathie bedeutsam zu sein.

Was sind die ersten Anzeichen für eine diabetische Retinopathie?
 
Es gibt keine Warnsymptome im eigentlichen Sinne – wie etwa Kopfschmerzen bei hohem Blutdruck oder Herzrasen bei Schilddrüsenüberfunktion. Wenn sich Symptome einstellen, ist die Netzhautschädigung oft schon weiter fortgeschritten. Darum müssen sowohl Betroffene als auch BehandlerInnen besonders sorgfältig vorgehen: Die einzige Chance, das Augenlicht zu erhalten, liegt in der regelmäßigen Untersuchung der Netzhaut durch eine darin versierte Person.
 
Wichtig ist auch, dass mögliche Sehstörungen am Anfang einer Diabeteserkrankung (z.B. unscharfes Sehen) häufig durch eine Veränderung der Augenlinse aufgrund des erhöhten Blutzuckers bedingt sind. Diese verschwinden nach einigen Wochen Therapie wieder. In dieser Zeit sollte daher keine neue Brille angeschafft werden – diese kann nach kurzer Zeit schon nicht mehr richtig sein. Besser ist, ein paar Wochen zu warten und dann eine längerfristig passende Brille auszuwählen. Ihr geschulter Optiker kann Sie hierzu fachkundig beraten.

Wie oft sollte man zum Augenarzt gehen, wenn man an Diabetes erkrankt ist?
 
Dazu gibt es sehr gute Regeln, die auch für PatientInnen niedergeschrieben wurden. Darin steht, dass grundsätzlich jeder Mensch mit Diabetes einmal im Jahr auf die Schädigung der Netzhaut untersucht werden sollte. Es gibt Abweichungen von dieser Regel, beeinflusst durch den Diabetes-Typ, das Alter, die Stoffwechseleinstellung und andere Komplikationen.
 
Das folgende Schaubild gibt Ihnen einen schnellen Überblick:

Graphik Diabetes und Auge Screening-Intervalle


Ist eine diabetische Retinopathie heilbar?
 
Leider nicht, daher sollte sie so früh wie möglich erkannt werden. Aber es gibt sehr gute Möglichkeiten, das Fortschreiten der Netzhautschädigung aufzuhalten und sogar die Sehkraft wieder zu verbessern. Noch besser ist, es gar nicht so weit kommen zu lassen.
 
Die diabetische Retinopathie kommt selten allein. Mit welchen weiteren Folgeerkrankungen geht sie einher?

Doch – sie kommt oft allein. Aber wenn sie kommt, kann sie Vorbote für Herzerkrankungen sein. Außerdem kommt nicht selten vor, dass auch eine diabetische Nierenerkrankung vorliegt. Dann ist es sehr wichtig, auch nach anderen Komplikationen zu fahnden, und die Therapie auf das erhöhte kardiovaskuläre Risiko zu richten. 

Gibt es noch weitere Augenerkrankungen, die auf Diabetes zurückzuführen sind?
 
Grundsätzlich können alle Abschnitte des Auges durch den Diabetes beeinflusst werden. Vor allem ist da die diabetische Glaskörpertrübung zu nennen. SpezialistInnen untersuchen regelmäßig auf diese Komplikationen.
 

Seit 2019 wird die Optische Kohärenztomographie (OCT) von den Krankenkassen erstattet. Was bedeutet das für die Menschen mit Diabetes? Wann ist eine OCT eine sinnvolle Alternative zu anderen Untersuchungsverfahren?
 
Die OCT wird gern angeboten, um das Auge umfassend zu untersuchen, insbesondere im Rahmen einer individuellen Gesundheitsleistung. In der frühen Phase des Diabetes mellitus ist das nicht notwendig. Denn das diabetische Makulaödem, das man mit dieser Untersuchung besonders gut erfassen kann, stellt sich erst nach Jahren ein. Im Rahmen der Behandlung des diabetischen Makulaödems ist die OCT Kassenleistung. Außerhalb dieser Indikation ist sie hingegen äußerst selten indiziert.

Welche Neuigkeiten gibt es sonst noch im Bereich Diabetes und Auge?
 
Die neuen Technologien zur Erfassung von Blutgefäßschäden sind bereits sehr sensitiv, wenn ein Prädiabetes vorliegt. Allerdings ist noch ungeklärt, was davon für die Praxis relevant ist.
 
Die Methoden der künstlichen Intelligenz erlauben eine relativ gute Erfassung von sehkraft-bedrohenden Stadien – der Einsatz als Unterstützung der diabetologischen Versorgung ist aber noch nicht ausreichend evaluiert.
 
Neu ist auch, dass zunehmend zwischen verschiedenen Unterformen des Typ-2-Diabetes unterschieden wird. Diese können helfen, in Zukunft noch besser zu verstehen, wie und bei wem Komplikationen entstehen. So können wir dann auch milde von schweren Krankheitsverläufen unterscheiden und gezielt Präventionsmaßnahmen ergreifen, um erwartbare Folgeerkrankungen zu vermeiden oder zumindest diese frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
 
Insgesamt steht als großer Trend die Vermeidung von Über- und Unterversorgung von Menschen mit Diabetes im Vordergrund.