Fiorella (21) – der TikTok-Star

Fiorella
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Sie ist ausgebildete Sport- und Fitnesskauffrau und so oder so eine Erscheinung: groß, hübsch, durchtrainiert und fast immer im Sport-BH, zumindest auf ihrem TikTok Account, mit dem sie inzwischen über 126 000 Follower (Stand September 2022) erreicht. TikTok, ist das nicht die Plattform in den sozialen Medien, die für Musik- und Tanzvideos in 30 Sekunden steht? Fiorella (21) lacht, wenn man ihr diese Frage stellt, denn ihre Videos sind in den meisten Fällen tanz- und musikfrei.

Ihre Videos zeigen ihren Alltag mit ihrem Typ-1-Diabetes, der im Alter von 10 Jahren diagnostiziert wurde – letztendlich kurz vor knapp, denn obwohl sie alle Symptome wie Gewichtsabnahme, unendlichen Durst und ständiges Wasserlassen aufwies, die auf einen Diabetes Typ 1 hinwiesen, wurde sie mit ihren Eltern dreimal von der betreuenden Kinderärztin wieder nach Hause geschickt mit der Diagnose, es sei halt irgendein Infekt. Als der Atem seiner Tochter auch noch nach Aceton riecht und sie kaum noch ansprechbar ist, bringt der Vater seine Tochter ins Krankenhaus und muss mitansehen, wie sie drei Tage lang im Koma liegt. Ketoazidose. Das hat Fiorella geprägt, das vergisst man nicht mehr, wenn man dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen ist. Als 10-jährige hadert sie zunächst mit ihrem Schicksal. Sie versucht ihren Diabetes die nächsten 2–3 Jahre zu verstecken, auch, weil ihre eineiige Zwillingsschwester eben keine Pumpe oder Sensor am Körper tragen muss. Sie fühlt sich allein gelassen mit ihrem Diabetes. 

Doch der Diabetes lässt sie auch schneller eigenständiger und selbstbewusster werden. Als sie mit 13 im Freiburger Freibad beim Schwimmen von einem älteren Herrn auf ihren aufgeklebten Sensor angesprochen wird, sie sei doch noch zu jung für ein Nikotinpflaster, wird ihr klar, dass sie ihre Diabetestechnik an ihrem Körper nie mehr verstecken will. Schon im jungen Alter ist ihr klar, dass sie sich für Aufklärung einsetzen will, weiß aber noch nicht wie. 

Dieser Schritt kommt von ganz allein, als sie ihrem Bruder, einem erfolgreichen Musikproduzenten nicht nur nach Hamburg folgt, einer Großstadt, in der der Diabetes nicht für Aufsehen sorgt wie in der Kleinstadt Freiburg, sondern ihm auch auf TikTok folgt. Sie beginnt unter dem account @fiorella_t1d eigene Videos einzustellen. Von Anfang an ist ihr klar, dass sie bei keinem Video ihren Diabetes verstecken will. Zunächst stellt sie 1–2 Sportvideos ein, bis Nachfragen kommen, was sie da für einen komischen Melder am Arm hätte. Von da an filmt sie einfach ihren Diabetes-Alltag mit: wie Sensor setzen oder Katheter wechseln und ist überrascht, wieviel Feedback und Zuspruch sie für diese 30-Sek-Videos bekommt.

Schnell werden aus 10 000 Followern 100 000, einzelne Videos gehen mit 2 Mio. Aufrufen viral, das erfolgreichste Video ist mit 3,5 Mio. ein Video, in dem nicht sie den Katheter wechselt, sondern ihr Papa. „Schnuck“ sagt er, als er den Schlauch setzt, die meisten User finden das „süß“, wie der Papa die erwachsene Tochter versorgt. Es gibt massives Interesse seitens der Follower an den Themen Sensor und Pumpe, 80 % sind selbst betroffen oder aber Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes. Es gibt aber auch missgünstige Kommentare, die ihr unterstellen, sie würde nur posten, um Mitleid zu erregen, dass sie diese chronische Erkrankung hätte. Es sind die vielen positiven und die Dankeskommentare, die sie motivieren, weiter zu machen. Inzwischen steht sie in Kontakt mit diabetologischen Praxen, die ihre Videos neudiagnostizierten PatientInnen zeigen. Und erst neulich hat ihr die Mutter eines 5-jährigen Kindes eine sehr bewegende Audionachricht gesendet, dass die Videos ihrem Kind die Angst nehmen. Das hat Fiorella sehr berührt. Es sind die persönlichen, emotionalen Kommentare, die sie beflügeln, nicht damit zu hadern, dass sie täglich 2 Stunden fürs Filmen und Schneiden aufwenden muss. Sie hofft, diese Zeit auch noch zu haben, wenn sie im Herbst beginnt, Gesundheitsmanagement zu studieren. 

Mit ihrem Diabetes hat Fiorella aktuell keine Probleme, sie ist 80 % im Zielbereich. Sie sagt, es läge daran, dass sie psychisch stabiler sei, seit sie darüber auf TiKTok und Instagram postet – im Sport-BH, vorne die Pumpe am Bauch und den Sensor am Oberarm.