Juliane G. (37) - Beim Diabetes gibt es kein Sicherheitstraining

Juliane G. (37) - Beim Diabetes gibt es kein Sicherheitstraining
Juliane G.

Sicherheit. Sicherheit bezeichnet einen Zustand, der frei von unvertretbaren Risiken der Beeinträchtigung ist. Das Streben nach dieser Sicherheit zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Juliane (37), seit 28 Jahren an Diabetes Typ 1 erkrankt. 28 Jahre, in denen sie genau diesen Zustand vermisst, denn kein Tag ist gleich im Leben von Juliane, zu häufig sind ihre Blutzuckerschwankungen, zu groß ihre Angst vor Unterzuckerungen, die bis heute 1 bis 2 Mal pro Woche auftreten.

Julianes Bauchspeicheldrüse hat im Alter von 9 Jahren aufgehört, Insulin zu produzieren, seitdem muss sie das lebensnotwendige Hormon täglich von außen zuführen. Dass sie eventuell an Typ-1-Diabetes erkrankt sein könnte, erkannte ihre Uroma, der es komisch vorkam, dass ihre Urenkelin plötzlich Unmengen trank und gleichzeitig so antriebslos war. Ein Urinzuckertest brachte die Wahrheit ans Licht und Juliane für 3 Wochen zur Einstellung ihres Diabetes ins Krankhaus.

Danach war alles anders. Mit Typ 1 Diabetes wird man sehr früh sehr selbstständig. Da ihr Körper eine instabile Stoffwechsellage hat, bedeutet dies für Juliane bis heue 6 bis 7 Mal am Tag den Blutzucker zu messen und die Insulindosis anzupassen. Als Kind hatte sie stets Angst vor den Spritzen und lernte erst in Ferienfreizeiten, besser mit dem Diabetes umzugehen, obwohl sie von den anderen Kindern oft gehänselt wird. Warum kann sie sich bis heute kaum erklären, vielleicht, weil sie sich – ganz Sternzeichen Stier – nichts sagen lässt und immer wieder aufsteht, trotz Niederlagen. In ihrer Freizeit gehörte sie in der DDR als Teenie der „AG Eisenbahn“ an, ihrem Erholungspunkt, und sorgt bei der Berliner Parkeisenbahn am Wochenende für die Zugsicherheit. Flucht in eine andere Welt, wo Sicherheit eine bedeutende Rolle spielt. Da ist es wieder, das Streben nach Sicherheit.  

Diese Sicherheit will sie auch anderen geben. Als ihr aufgrund ihrer Diabeteserkrankung und ihrem Schwerbehindertengrad das Arbeitsamt die Auswahl zwischen Kauffrau für Bürokommunikation oder Arzthelferin anbietet, entscheidet sie sich für Letzteres. Schnell wird ihr klar, dass sie die Weiterbildung zur Diabetesassistentin und dann zur Diabetesberaterin machen möchte. Wissen und eigene Erfahrung weitergeben, praktisch Selbsthilfe als Beruf. Inzwischen ist sie längst ehrenamtlich in der Selbsthilfe aktiv betreut nun selbst seit über 10 Jahren Ferienfreizeiten und ist seit 1 ½ Jahren im Vorstand der „Deutschen Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes“ (DDH-M).
Julianes Ventil, dem Diabetes mal zu entfliehen, sind Fantasy-Romane. Ihr Lieblingsautor Ralf Isau beschreibt in seiner Fantasy-Saga „Der Kreis der Dämmerung“ ein Jahrhundertkind mit besonderen Gaben. Ein Kind wünschte sich auch Juliane schon seit langem, aber die Risiken wollte sie so gering wie möglich halten.

Da sie offen ist für neue Therapien oder Technologien - seit 4 Jahren hat sie ihre Insulinpumpe in eine Pumpe mit kontinuierlichem Glukosemonitoringsystem getauscht (CGM) – konnte die Babyplanung starten. Juliane fühlt sich mit dem CGM endlich sicherer, gerade beim Autofahren, das ist vor allen wichtig, wenn später das Baby an Bord ist, schließlich lebt sie auf dem Land in Brandenburg. Mit dem CGM kann sie Unterzuckerungen viel frühzeitiger erkennen und gegensteuern.

Ihre Schwangerschaft verlief relativ problemlos, Tochter Theresa kommt im vergangenen Jahr kerngesund auf die Welt. Auch wenn Juliane im Umgang mit ihrem Diabetes nachlässiger geworden ist, weil sie ihren Tagesrhythmus mit Duschen, Katheter wechseln, Frühstück berechnen nun dem Rhythmus des Babys unterwerfen muss und so einiges untergeht. Theresa ist das ganze Glück von Juliane und ihrem Lebenspartner. Gleichwohl wird Juliane die Angst, ihre Tochter könne irgendwann auch an Typ-1-Diabetes erkranken, ihr Leben lang begleiten. Die Sicherheit, dass dies nicht der Fall sein wird, wird ihr niemand geben können, das Risiko der Vererbbarkeit für Kinder von Typ 1 Müttern ist verdoppelt.
 
Nicole Mattig-Fabian, Februar 2014