Interview mit Prof. Dr. Meinolf Lindhauer: Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Getreideforschung

Weizen, Roggen, Gerste, und Hafer gebunden
© Shutterstock

Warum sind Vollkornprodukte mit viel Ballaststoffen besonders gesund? Wir haben nachgefragt bei Getreideforscher Prof. Dr. Meinolf Lindhauer, u.a. ehemaliger langjähriger Leiter des Instituts für Sicherheit und Qualität bei Getreide des Max Rubner-Instituts, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel.

Foto Prof. Dr. Meinolf Lindhauer
© Ute Scheibner/Max Rubner-Institut
Prof. Dr. Meinolf Lindhauer

Herr Prof. Lindhauer, warum sind Ballaststoffe so besonders wertvoll für jeden Menschen, aber insbesondere für Menschen mit Diabetes?

Mit dem hohen Ballaststoffgehalt im Getreidevollkorn, insbesondere im Roggen, kann man in der täglichen Diät einen beträchtlichen Anteil des von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Tageskonsums von 30 g Vollkorn am Tag schaffen. Ballaststoffe sind sehr quellfähig, verlängern die Verweilzeit im Magen und damit das Sättigungsgefühl. Sie dienen der Darmflora als Stoffwechselsubstrat (Prebiotika) und sind in der Lage, Gallensäuren und krebserregende Stoffe (z.B. Schwermetalle) zu binden, was zur Senkung des Cholesterinspiegels und zur Vermeidung von Krebserkrankungen beiträgt. 

Regelmäßiger und ausreichender Verzehr von Ballaststoffen mindert die Wahrscheinlichkeit, an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken. Bei Diabetes-Patienten vermeidet der langsame Abbau von Ballaststoffen Glucose-Spitzen im Blut. Auch für diese Betroffenen gilt, dass nach neuesten Erkenntnissen das Zusammenwirken der Gesamtheit aller gesundheitsrelevanten Inhaltsstoffe des Vollkorns wohl entscheidend für die positiven Wirkungen ist.

Die Brotsorten „Unser Pures“ enthalten Haferkörner und -flocken. Was macht deren sehr gute Nährstoffbilanz aus?
 

Hafer und entsprechend Haferflocken sind reich an Vitaminen, Mineralstoffen, essenziellen Aminosäuren, ungesättigten Fettsäuren, Antioxidantien und Ballaststoffen. Letztere sind in hohem Maße stark aufquellende Beta-Glucane, die wegen ihrer schleimstoffartigen Konsistenz Enzymen den Zugang erschweren und somit den Abbau zu Glucose verlangsamen. Während dieser Effekt für Menschen mit Diabetes sicher in erster Linie bedeutsam ist, sollte aber auch, wie für jeden Konsumenten, auf die Gesamtheit der gesundheitsrelevanten Inhaltsstoffe verwiesen werden. Darunter müssen als Besonderheit bei Hafer noch die Avenanthramide, zu den Antioxidantien zählende Polyphenole, besonders erwähnt werden, da sie schädigende Ablagerungen in den Blutgefäßen verhindern und zur Gesunderhaltung des Herz-Kreislauf-Systems beitragen.
 
Die vielen Ballaststoffe im Vollkornbrot sorgen dafür, dass die enthaltenen Kohlenhydrate nur langsam aufgespalten werden und nach und nach ins Blut gehen, also auch den Blutzuckerspiegel stabil halten. Warum ist man dadurch besser vor Heißhungerattacken geschützt?
 
Vollkornprodukte, insbesondere wegen der hohen Quellfähigkeit ihrer Ballaststoffe und dadurch verlängerten Verweilzeit im Magen, bewirken ein höheres Sättigungsgefühl. Zusätzlich signalisiert der verlangsamte Abbau der Kohlenhydrate über die längere Konstanz des Blutzuckerspiegels dem Gehirn eine längere ausreichende Versorgung mit Zucker.

In der Ernährungsberatung wird Menschen mit Diabetes der Verzehr von viel Gemüse nahegelegt. Welche Gemüsesorten mit hohem Ballaststoffanteil sind besonders empfehlenwert?

Gemüse gehört nicht zu meinem Spezialgebiet. Aber Daten aus Lebensmitteltabellen belegen unter den Blattgemüsen vergleichsweise hohe Ballaststoffgehalte für Rosenkohl und Grünkohl. Paprika-„Schoten“ sind ebenfalls zu empfehlen und unter den Knollen- und Wurzelgemüsen Möhren, Fenchel, Sellerie und ganz besonders Pastinaken und Schwarzwurzeln.

Gibt es aus der Getreideforschung neueste Erkenntnisse, die für Menschen mit Diabetes wichtig sind?

In jüngerer Zeit ist in der Getreidezüchtung ein gewisses Interesse zu erkennen, neue Sorten mit höheren Gehalten an ernährungsphysiologisch wertvollen Inhaltsstoffen, darunter auch Ballaststoffen, zu entwickeln. Ein schon am Markt verfügbares Beispiel ist eine Gerstensorte mit einem sehr hohen Gehalt an Amylopektin. Daten sprechen dafür, dass diese langkettige Form der Stärke bei ausreichendem Verzehr Cholesterinspiegel-senkende Wirkung hat.