Norbert Kuster (58) – sein Lada schädigte Auge, Nerven und Herz

Norbert Kuster
© Norbert Kuster

Seine Frau vermutete es sofort: Wenn ein junger Mann von 31 Jahren ständig über Müdigkeit und Durst klagt, könnte ein Diabetes Typ 1 dahinter stecken. Kurzerhand misst sie seinen Blutzucker, das Gerät zeigt einen Blutzucker von über 300 mg/ dl an. Norbert Kusters Frau weiß, wovon sie spricht, sie hat selbst seit ihrem 17. Lebensjahr Diabetes Typ 1.

Der Hausarzt attestiert zunächst einen Typ-2-Diabetes und behandelt Norbert Kuster mit Antidiabetika. Erst viel später attestiert man ihm einen Lada-Diabetes, einen verzögert im Alter auftretenden Typ-1-Diabetes. Während viele Menschen ihre Diabetesdiagnose schockiert aufnehmen, geht Norbert Kuster gefasst mit der Nachricht um. Schließlich sieht er anhand seiner Frau, dass man ein fast normales Leben mit dem Diabetes führen kann. Viel mehr ärgert er sich, dass ihm keiner Antworten auf seine Fragen gibt: Welche Einschränkungen wird es von nun an für ihn geben?

Worauf ist bei der Ernährung besonders zu achten? Seine erste Schulung erhält er erst 6 Monate nach der Diagnose. 6 Monate, in denen er feststellen muss, dass es nicht damit getan ist, die Therapie und Versorgung seiner Frau zu kopieren. Jeder Mensch mit Diabetes ist anders und reagiert anders. Er fühlt sich im Regen stehen gelassen. Das wurmt ihn über Jahre hinweg. Er würde gerne dafür sorgen, dass andere Neudiagnostizierte nicht ebenso missachtet werden. Sein Sternzeichen Löwe ruft in ihm einen Beschützerinstinkt hervor und Gerechtigkeitssinn. Der ehemalige Krankenpfleger beschließt kurzerhand, eine Zusatzausbildung zum Diabetesberater zu machen, um sich später in der Beratung die maximale Zeit für die Patienten und ihre vielen Fragen zu nehmen. Trotzdem kommt auch er an seine Grenzen, denn mehr als 20 Minuten pro Patient bildet das Gesundheitssystem nicht ab. Das ist für ihn ein Grund, sich in der Selbsthilfe zu engagieren. Heute umfasst seine Selbsthilfegruppe in Bocholt bis zu 35 Mitglieder, Typ 1, Typ 2 und Typ F (Angehörige). Eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich in allen Lebenslagen hilft, vor allem in Fragen rund um den Diabetes. 

Und obwohl Norbert Kuster durch die Selbsthilfearbeit die Vesorgungsleitlinie seiner Erkankung in und auswendig kann und alles daran setzt, eine stabile Stoffwechsellage hinzubekommen, setzen die ersten Folgeerkankungen ein: 2010 wird ein Glaukom im Auge entdeckt, er kann nur noch unscharf sehen. 2018 folgt die Diagnose einer Neuropathie, seine Gefäßnerven lassen kein Heiss-Kalt- Empfinden mehr zu. Und in 2020 folgt ein Herzinfarkt mit 2 Stents und 4 Bypässen. Erst in der Rehaklinik erkennt der Chefarzt, dass der Auslöser nicht Stress, sondern der Diabetes war. Norbert Kuster selbst hat die Ärzte auf die richtige Spur gesetzt. Diabetes kommt selten allein.

Mit Diabetes und seinen Folgen zu leben, ist nicht einfach, aber dass der Diabetes sein Leben bestimmt, lässt Norbert Kuster nicht zu. Sein liebstes Hobby sind Reisen in die ganze Welt: Australien, Bali, Südamerika, für dieses Jahr soll es noch Südafrika werden, so Corona ihn und seine Frau lässt. Angst, dass er in diesen fernen Ländern im Problemfall nicht richtig versorgt werden könnte, hat er nie gehabt – und sich vorausschauend immer mit der doppelten bis dreifachen Menge Insulin eingedeckt. Seit er vor fünf Jahren vom Pen auf eine Insulinpumpe umgestiegen ist, hat er sowieso so gut wie keine Unterzuckerungen mehr. Hätte er gewusst, was die Pumpe für ein Gewinn an Lebensqualität ist, wäre er viel früher umgestiegen in der Therapie. Die gewonnene Lebensqualität genießt er am liebsten im Kreise seiner Familie: 3 Kinder brachte seine Frau mit in die Ehe, mittlerweile freuen sie sich über 5 Enkelkinder und das erste Urenkelkind. An Feiertagen ist seine Frau dann in ihrem Element: Kochen für die Großfamilie. 

Norbert Kuster hat noch viel vor: Seit Mai 2019 ist er Geschäftsführer und Vorsitzender des größten Diabetes-Selbsthilfe-Landesverbandes in Deutschland, dem LV DDH-MNRW . Über 4300 Mitglieder hat sein Verband. Nach wie vor treibt ihn die Sorge nach einer besseren und gesicherten Versorgung für die Menschen mit Diabetes um. Dafür musste er bereit sein, sich in die Struktur des Gesundheitswesens einzuarbeiten und sämtliche Scheu vor Politikern abzulegen. In NRW ist Karl-Josef Laumann Gesundheitsminister, wenn der Schuh drückt, kontaktiert Norbert Kuster ihn direkt. Besonders am Herzen liegt ihm dabei das Projekt „DidS – Diabetes in der Schule“, das durch Schulungen für Erzieher, Lehrer und Betreuer hilft, deren Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Diabetes zu überwinden und eine Teilhabe bei Klassenfahrten und Wanderausflügen zu ermöglichen. Da ist er wieder: sein Gerechtigkeitssinn.