Sebastiano Lo Zito (29) – Der soziale Kämpfer

Sebastiano Lo Zito

Er lacht, als ich ihn mitten im Interview unvermittelt nach seinem Sternbild frage. Dabei hätte ich gar nicht fragen müssen: Löwe, das war klar. Ein Kämpfer durch und durch, vor allem für andere, sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Sie sollen wie er selbst lernen, dass Boxen Aggressionen abbauen kann. Mit Boxen hat der heutige Internationale Deutsche Meister im Supermittelgewicht im Alter von 13 Jahren angefangen. Da hatte er bereits 6 Jahre Diabetes Typ 1. Sehr genau erinnert er sich noch an die Symptome, bevor die chronische Krankheit bei im diagnostiziert wurde: Plötzliche Gewichtsabnahme, unmenschlicher Durst, vermehrte Aggressivität und eine unerklärliche Unkonzentriertheit. Den Tag wird er nie vergessen: Nikolaus 1997. Die Diagnose trifft den kleinen Sebastiano mit voller Wucht: er ist traurig, hat große Angst und kann die Aussage, dass er von nun an bis an sein Lebensende 3 mal am Tag Insulin spritzen muss, nicht recht verarbeiten. Erst das Boxen gibt ihm Halt, er muss extrem diszipliniert leben, um das Training durchzustehen, ohne zu unterzuckern oder zu überzuckert in den Ring zu steigen. Je länger er die Sportart ausübt, umso mehr lernt er, die Balance zu schaffen, zwischen dem Hindernis Diabetes und der Pflicht zur Disziplin. Irgendwann hilft ihm der Diabetes sogar dabei.

Heute trainiert er täglich 2 x, nur sonntags hat er frei. In der Wettkampfphase liegt sein „Kampfgewicht“ bei 76,2 Kilogramm, wettkampffrei bei 80 kg. Die Ernährung ist genauso vorprogrammiert: wenig Kohlenhydrate, keine Süßigkeiten. Mit viel Disziplin und Training kann man Profiboxen bis Mitte 30 gut ausüben, aber Sebastiano ist nicht dumm: Er weiß ganz genau, dass er sich ein anderes Standbein aufbauen muss. So studiert der gebürtige Hamburger in seiner Heimatstadt „Soziale Arbeit“, seine BachelorArbeit schreibt er zum Thema „Wirkung von Boxen als Mittel zur Gewaltprävention“. Das untermauert er mit seinen Erfahrungen als Boxtrainer von Kinder und Jugendlichen im Alter von 10 - 15 Jahren an Brennpunktschulen. Sein Antrieb: Er will den Kindern, die schon jetzt sozial auffällig sind durch Gewalttaten oder kleine oder größere Delikte eine Chance geben, rechtzeitig die Kurve zu kriegen und das Boxen als Gewaltprävention und nicht Gewaltförderung zu verstehen. Die Hälfte der Kinder schafft das aus seiner Erfahrung, die anderen bleiben irgendwann dem Training fern… Sebastiano hilft gerne, er kämpft als angehender Sozialarbeiter für diese Kinder und ist ihnen ein großes Vorbild.

Im Ring kämpft er für sich selbst. 99 Kämpfe hat er bislang beschritten, keinen einzigen mit einer Unterzuckerung. Trotzdem kann seine sizilianische Mutter die Kämpfe nicht live sehen. Vielleicht sieht sie ihn als besonders behütungswürdig an, immerhin wohnt Sebastiano noch zu Hause. Sonst würde er sein Programm Studium, Arbeit, Leistungssport nicht schaffen. Einfacher wäre es, wenn er finanzielle Unterstützer finden würde. Trotzdem hat Sebastiano nie daran gedacht, das Boxen aufzugeben. Der Diabetes hat ihn härter gemacht: Der 100. Kampf ist kurz vor Silvester angesetzt. Ein Grund zum Feiern? Sebastiano bleibt auch hier bescheiden: vielleicht entspannt er mit seiner Freundin und Freunden danach ein bisschen. Dem Löwen Sebastiano scheint sein eigenes Rudel zu genügen.

03.12.2019